Zur Geschichte des Verbandes

Rolf Ballof

Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer unterrichten im Spannungsfeld von Wissenschaft, staatlichem Auftrag und Möglichkeiten und Bedürfnissen von Schülerinnen und Schülern.

Jede der drei Bestimmungsgrößen hat ihre eigene raison d’etre, eigene Vorstellungen davon, wie Unterricht zu gestalten ist, welche Inhalte und welche Ziele verwirklicht werden sollen. Es ist die Hauptaufgabe eines Verbandes der Geschichtslehrer, die Intentionen der drei Bestimmungsgrößen zu beobachten, sie in ein rechtes Verhältnis zueinander zu bringen und ein schlüssiges Konzept des Geschichtsunterrichtes vorzulegen.

Natürlich sind die Wissenschaft von der Geschichte, die Didaktik der Geschichte, die Wissenschaften, die sich mit der Situation und den Möglichkeiten der Jugend beschäftigen und die Bildungspolitik im Gespräch miteinander, und doch bleiben sie auf den Geschichtsunterricht von außen wirkende Kräfte. Bezeichnend heißt es im Wiedergründungsaufruf vom Mai 1949: „Wir erkennen dankbar das Bemühen der Schulbehörden an, durch amtliche Maßnahmen, die innere Auseinandersetzung mit unserem geschichtlichen Schicksal zu fordern. Trotzdem sind wir verpflichtet, gemeinsam in freier Aussprache die Arbeit selbstverantwortlich in Angriff zu nehmen.“

Immer dann, wenn eine Bestimmungsgröße stärker als die anderen zu werden, sie zu dominieren droht, hat der Verband die Aufgabe, in Selbstverantwortung ein neues Gleichgewicht durch Diskussion herauszufinden. Die Geschichte des Verbandes kann man geradezu als eine Geschichte dessen beschreiben, wie er das Verhältnis der drei Bestimmungsgrößen zueinander gestaltet hat.

Am Anfang der Geschichte des Verbandes – längst vor seiner Gründung – stand der Protest gegen den preußischen Lehrplan von 1892, der die Aufgaben des Geschichtsunterrichtes in der Behandlung der deutschen und vor allem in der preußischen Geschichte vorsah und diese Aufgabe mit dem Ziel verband, die „Ausbreitung sozialistischer und communistischer Ideen“ zu verhindern. Damit sollte der am Ideal des Humanismus orientierte Geschichtsunterricht abgelöst werden. Der Protest der Geschichtslehrer und der Wissenschaftler gegen die preußischen Lehrpläne führte zur Gründung der Historikertage (München 1893; Leipzig 1894).

Einerseits wehrten sich die Geschichtslehrer gegen die Instrumentalisierung der Geschichte, anerkannten jedoch nach langen Diskussionen auch die Notwendigkeit staatsbürgerlicher Erziehung durch den Geschichtsunterricht. Die gesellschaftliche Hochschätzung der Natur- und Technikwissenschaften – wie auch die aus dieser Hochschätzung sich ergebenden Konsequenzen für den Geschichtsunterricht, der konsequent positivistisch auf Fakten ausgerichtet wurde – verlangten eine Reaktion der Geschichtslehrer. So schufen sie sich 1911 in der Zeitschrift „Vergangenheit und Gegenwart“ mit dem Untertitel “ Zeitschrift für den Geschichtsunterricht und staatsbürgerliche Erziehung in allen Schulgattungen“, Teubner (Leipzig), seit 1950 „Geschichte in Wissenschaft und Unterricht“ mit dem Untertitel „Zeitschrift des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands“, Klett (Stuttgart), Friedrich-Verlag (Seelze) ein Organ, in dem die Geschichtslehrer die Fragen der Quellenarbeit, des arbeitsunterrichtlichen Verfahrens und des Zieles, die Schülerinnen und Schüler zu kritischem Urteil zu erziehen, intensiv diskutierten. Nachdem auch andere Fächer ihre Verbände gegründet hatten, kam es im September 1913 zur Gründung des Verbandes deutscher Geschichtslehrer. Der Gründungsaufruf verlangt die „philosophische Grundbildung und historische Vertiefung“ für die „wahre Geistesbildung“ gegenüber dem „Triumpfzeitalter der technischen Fortschritte“ und vor allem seiner Konsequenzen für den Unterricht allgemein und für den Geschichtsunterricht im besonderen. Durchaus modern stellt sich der Katalog der Aufgaben des zu gründenden Verbandes dar:

* Verwertung der modernen Forschungsergebnisse

* kritische Sichtung des Lehrstoffes aufgrund neuer Zielsetzung

* Bewertung des Unterrichtsfaches bei Prüfungen u. Versetzungen

* Fragen der Aus- und Fortbildung der Geschichtslehrer, des Arbeitsunterrichtes, der Stundenzahl, der Quellenlektüren.

Dann heißt es ausdrücklich „ihre Lösung kann nicht ausschließlich der Verfugung der Verwaltungsbehörden überlassen bleiben“, Geschichtswissenschaft und Pädagogik, Universität und Schule seien bei der Gestaltung des Geschichtsunterrichtes aufeinander angewiesen.

Dass es zu einer Gründung eines Geschichtslehrerverbandes und nicht zur Einrichtung einer Abteilung innerhalb des Historikerverbandes kam, lag an der sich ausdifferenzierenden Interessenlage der Hochschullehrer und der Lehrer, letztere verstanden sich zunehmend auch als Pädagogen (vgl. Forderung nach staatsbürgerlicher Erziehung).

Der l. Weltkrieg verhinderte den raschen Aufbau der Organisation und die Diskussion der Verbandsarbeit. Der Krieg und seine Ziele trugen dem Geschichtsunterricht zwar eine erhöhte Bedeutung ein, die allerdings mit einer einseitigen Politisierung und nationaler Instrumentalisierung erkauft wurde. So wurde im Jahre 1916 im Vorstand erklärt: “ Es gilt, auf dem Gebiet des Geschichtsunterrichts die Früchte des Weltkrieges zu erhalten.“ Mit den „Früchte(n) des Weltkrieges“ waren sicher nicht nur die Früchte eines Sieges, sondern vor allem die Bedeutung, die der Geschichtsunterricht durch den Krieg erhalten hatte, gemeint.

Das Kriegsende und der Übergang zur demokratischen Republik von Weimar blieben nicht ohne Rückwirkungen auf den Verband. Die vielen unterschiedlichen Konzeptionen eines Geschichtsunterrichtes lassen sich zu zwei Hauptströmungen zusammenfassen: da war einmal die „Leipziger Gruppe“, die die Kriegs- und Dynastiegeschichte zugunsten einer Geschichte des Bürgerlichen zurückdrängen wollte. Sie legte großen Wert auf eine geistesgeschichtlich-dominierte Kulturgeschichte und plädierte sogar bereits für eine Universalgeschichte. In der Konsequenz dieses Paradigmen-Wechsels regte die „Leipziger Gruppe“ eine Revision der Geschichtsbücher Deutschlands und seiner Nachbarn im Sinne einer Völkerverständigung an. Die „Berliner Gruppe“ setzte sich für die Kontinuität der deutschen Geschichte über 1918 hinaus ein. Insofern war es auch konsequent, dass sie einmal für die Beibehaltung der vor 1919 im Gebrauch befindlichen Geschichtsbücher eintrat -übrigens erfolgreich – und zum anderen die Texte in den Schulbüchern der ehemaligen Weltkriegsgegner wegen der Verletzung der deutschen Ehre anprangerte. Im Verband wurde die „Berliner Gruppe“ führend und verankerte den Verband zunehmend im deutsch-nationalen Milieu, wenn auch nicht übersehen werden darf, dass gegenläufige Positionen schon in dieser Zeit formuliert wurden, aber erst nach 1945 zu tragenden Grundlagen der Arbeit des Verbandes geworden sind.

Immerhin bedurfte es eines Putsches aus der „Berliner Gruppe“ heraus (24. Juni 1933), um den „Umbau des Verbandes“ vorzubereiten, ihm „die Stoßkraft des neuen Staates“ zu sichern, um behaupten zu können, dass wegen der stets nationalen Einstellung der Verband keine „Gleichstellung“ im üblichen Sinne nötig habe. Die „Berliner Gruppe“ um den Stadtschulrat Dr. Arnold Reimann trat zurück und ernannte – ohne Mitwirkung der außerhalb Berlins ansässigen Mitglieder des Vorstandes – einen Dreierausschuss, der den Umbau vorbereiten und durchführen sollte.

Dieses satzungswidrige Vorgehen und die Anpassung an die nationalsozialistische Geschichtsunterrichtspolitik bewahrten den Verband nicht vor seinem Einbau in den NS-Lehrerbund, wobei Dr. Arnold Reimann sich wiederum als willfähriger Gehilfe erwies.

Dem Auftrag der Nationalsozialisten zur „schöpferischen Gestaltung eines neuen Geschichtsbildes“, wollte wohl keine organisierte Geschichtslehrerschaft entgegentreten. Resistenz und Widerstand lagen bei einzelnen Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrern, ihrem Handeln fühlen wir uns als Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer verpflichtet.

Nach der deutschen Katastrophe, die mit der Niederlage Deutschlands ihr Ende fand, konkurrierten viele Ansätze eines neuen Geschichtsunterrichtes miteinander. Unpolitische Kultur- und Menschenkunde mit anthropologischen und ethischen Grundlagen, politischer Unterricht entweder geistesgeschichtlich oder traditionalistisch-nationalgeschichtlich oder an Liberalität und gesellschaftlichem Fortschritt orientiert, versuchten sich als Lösung anzubieten.

Die Tradition der deutschen Länder und das Wiederaufleben früherer Traditionen in den ehemals preußischen Gebieten, waren eine wesentliche Ursache für die so unterschiedlichen Positionen zum Geschichtsunterricht. Verschärft wurden die Gegensätze auch durch die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen, deren Behörden Einfluss auf den Geschichtsunterricht nahmen. Dieser darf allerdings nicht überbewertet werden, weil die Erziehungsabteilungen der Besatzungsmächte einerseits den offenen Dialog mit den deutschen Kultusbehörden pflegten, andererseits selbst unterschiedliche Konzeptionen vertraten. Zu den eben genannten Schwierigkeiten trat auch eine Fülle von Schwierigkeiten organisatorischer Art.

Vor diesem Hintergrund ist die große „Leistung der Neugründer“ zu verstehen, denen es gelang, den Verband der Geschichtslehrer Deutschlands auf dem Historikertag in München 1949 neu zu gründen. Der Aufruf zur Neugründung legte sich auf keine der inhaltlichen Positionen fest, sondern sah es als eine wichtige Aufgabe des Verbandes, ein Forum der Aussprache über die neuen Ansätze zu sein.

„Nach der deutschen Katastrophe müssen wir unser gesamtes Geschichtsbild neu durchdenken“, war der Ausgangspunkt einer zunächst ergebnisoffenen Diskussion. Zwischen 1949 und 1953 (Saarland 1961) organisierte sich der Verband der Geschichtslehrer Deutschlands in Landesverbänden. Nach der Wende wurden in den wieder erstehenden Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ebenfalls Landesverbände gegründet. Schon 1951 setzte der Verband der Geschichtslehrer Deutschlands einen Ausschuss zur Vorbereitung eines gemeinsamen deutschen Rahmenplanes ein. Die Kultusministerkonferenz nutzte die Ergebnisse der Beratungen des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands, um – unter wesentlicher Beteiligung von Mitgliedern des Verbandes – einen Arbeitskreis einzusetzen. Die Ergebnisse der Arbeit dieses Arbeitskreises flossen in die Empfehlung der Kultusministerkonferenz vom 17. Dezember 1953 „Grundsätze zum Geschichtsunterricht“ ein.

Unterhalb dieser Grundsätze zum Geschichtsunterricht organisierten die deutschen Länder den Geschichtsunterricht unter maßgeblicher Beteiligung der Landesverbände des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands neu. So lag und liegt wegen des Bildungsföderalismus die Hauptlast der Arbeit bei den Landesverbänden. Der Bundesverband kann dabei neue Entwicklungen anregen, die Bemühungen der Landesverbände koordinieren und bestimmten allgemeinen Entwicklungen entgegentreten. Er hat für ein Forum zu sorgen, auf dem unterschiedliche Ansätze und gemeinsame Strategien diskutiert und entwickelt werden können. Er hat auch das Problem zu lösen, wie viel Gemeinsamkeit in der historischen Bildung nötig und wie viel Freiheit zu anderen Konzepten in den Ländern möglich ist.

Der Braunschweiger „geschichtspädagogische Arbeitskreis“ um Georg Eckert, dem ersten und langjährigen Schatzmeister des Verbandes, entwickelte einen bundesweiten Musterlehrplan, der sich an den didaktischen Kategorien wie Gegenwartsbezogenheit, Überwindung nationaler Beschränktheit, Integration von Politik- und Gesellschaftsgeschichte, Mitverantwortlichkeit als Konsequenz historischer Erkenntnis orientierte. Aus dieser Arbeit ging das Georg-Eckert-Institut hervor, dessen Verdienste um die Revision von Schulbüchern in Deutschland und um die Völkerverständigung durch Überarbeitung von Geschichts-, Geographie- und Politikbüchern nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Diesem Ansatz folgend, hat sich der Verband der Geschichtslehrer Deutschlands auch mit anderen Geschichtslehrerverbänden zu einem europäischen Dachverband – Euroclio – zusammengefunden.

Zum Unterricht über die jüngste Geschichte Deutschlands von 1933-1945 hat der Verband der Geschichtslehrer Deutschlands wichtige Beiträge geleistet. Es ist ihm gelungen, das Thema „Vernichtung der Juden“ als Thema des Geschichtsunterrichtes zu erhalten, obwohl gerade vom Ausland immer wieder eine vom Geschichtsunterricht abgesonderte Holocaust-Education verlangt wurde.

Es bleibt dabei: Der Verband der Geschichtslehrer Deutschlands hat das Verhältnis der drei Bestimmungsgrößen zueinander selbstverantwortlich zu definieren, die neuen Fragestellungen und Ergebnisse der Geschichtswissenschaft aufzunehmen, sie unter allgemein didaktischen und geschichtsdidaktischen Gesichtspunkte zu diskutieren und die Ergebnisse in die Lehrplanarbeit einzubringen. Zur Zeit scheint die Bestimmungsgröße „staatlicher Auftrag“ stärker als die anderen Bestimmungsgrößen zu sein, so dass der Verband sich verpflichtet fühlt, die Fragestellungen und Ergebnisse der Geschichtswissenschaft stärker ins Spiel zu bringen, was umso notwendiger ist, als der normale Zugang von frisch ausgebildeten Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrern in den Schuldienst zur Zeit nicht gegeben ist.

Eine wichtige Voraussetzung für die weitere Arbeit des Verbandes ist eine Diskussion der Wissenschaftler, die unterschiedliche Epochen und Methoden vertreten, untereinander und mit dem Verband darüber, was von den Epochen, den historischen Methoden und Frageformen für die historische Bildung unserer Jugend notwendig ist.

Zur Zeit sieht der Verband der Geschichtslehrer Deutschlands folgende Aufgaben als dringlich an:

  1. Die Funktion eines kritischen Geschichtsbewusstseins muss für den Erziehungs- und Lehrplan der Schule bestimmt werden.
  2. Die Funktion der älteren Epochen für das Geschichtsbewusstsein ist herauszuarbeiten und darzustellen – auch im Hinblick auf Europa.
  3. Die methodischen Ansätze der unterschiedlichen historischen Dimensionen (Politik-, Sozial-, Wirtschafts-, Kultur-, Umwelt- und Geschlechtergeschichte und die Geschichte der Mentalitäten) sind auf ihren Wert für historische Erkenntnis zu prüfen und verstärkt in den Unterricht einzuführen.
  4. Eine gemeinsame historische Grundbildung als Basis für länderspezifische Ausformungen ist zu entwerfen.
  5. Die fach- und didaktikwissenschaftlichen Anteile am Lehrerstudium sind zu sichern bzw. wieder auszuweiten.
  6. Die Lehrerfortbildung muss sowohl fachwissenschaftlich wie auch didaktisch verbessert, ihre Quantität wesentlich erhöht werden.
  7. Junge Geschichtslehrerinnen und -lehrer müssen mehr Möglichkeit haben, in den Schuldienst eingestellt zu werden.
  8. In den Klassen 5-10 muss Geschichte 2-stündig, in der Sekundarstufe II 3-stündig und in Leistungskursen unterrichtet werden.
  9. Geschichte muss als Fach für die Abiturprüfung gesichert werden.

Der Verband der Geschichtslehrer Deutschlands versteht sich als Koordinator der unterschiedlichen Einflüsse, die auf den Geschichtsunterricht wirken. Seine Erfahrung mit der Instrumentalisierung von Geschichte, fach- und sachfremden Setzungen und integrativen, die didaktischen Ressourcen des Faches missachtenden Konzepten, machen ihn für den Geschichtsunterricht aber auch für die Geschichtslehrerinnen und -lehrer unverzichtbar. Dabei muss er seine eigene Arbeit und seine eigenen Voraussetzungen immer wieder überprüfen, damit er den Gefährdungen entgeht, denen er in der Vergangenheit leider manchmal erlegen ist. Ein Verband mit den Erfahrungen einer langen Geschichte und dem Mut Neues zu wagen und durchzusetzen, muss Einfluß auf die Gestaltung des Geschichtsunterrichtes innerhalb des Fächersystems unserer Schulen haben. Dazu braucht er diskussionsfreudige und engagierte Mitglieder.

Bibliographie

1. Geschichtsunterricht und Geschichtsdidaktik vom Kaiserreich bis zur Gegenwart. Festschrift des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands zum 75-jährigen Bestehen. Herausgegeben vom Verband der Geschichtslehrer Deutschlands durch Paul Leidinger. Stuttgart 1988

2. Horst Giess: Geschichte, Geschichtslehrer, Geschichtsunterricht. Studien zum historischen Lehren und Lernen in der Schule. Weinheim 1998

3. Peter Schumann: Die deutschen Historikertage von 1893-1937. Göttingen 1975